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ich von ihm erwartet hätte. Mit Khalids Hilfe hat er eine
schwach radioaktive Paste an den Lebensmittel-Containern
angebracht. Es hätten allein Khalids Handschuhe mit der Paste
in Berührung kommen dürfen, doch als man nach einigen
Tagen die Handschuhe der gesamten Gruppe untersuchte (ein
Vorgang, gegen den ich mich natürlich nicht sträubte),
entdeckte man, dass auch Doktor Tsuyoshis Kleidung betroffen
war.
Dieses Ergebnis hätte ich nie erwartet Akina Tsuyoshi,
deren Verhalten stets tadellos war. Man hat sie vor wenigen
Minuten mit ihrer Tat konfrontiert. Sie brach weinend
zusammen, stammelte etwas über ihren Hunger und die
Leichtigkeit, andere zu bestehlen.
Es ist unglaublich die Situation hier auf dem Mars
erfordert, dass sich jeder auf seine Vernunft besinnt, Rücksicht
auf den anderen nimmt und das Beste aus sich herausholt.
Gefühle müssen zurückstehen und haben bei einer Mission auf
einem fremden Planeten nichts verloren. Das sind Major
Braxtons Worte, nicht meine.
Doch stattdessen brach in dem Moment, als Tsuyoshi
gefasst wurde, erneut die Hölle los. Man beschloss sie zunächst
auf die Krankenstation zu verbannen, damit ein Tribunal tagen
kann, das ein Urteil über sie fällen soll. Eine lächerliche
Veranstaltung, die natürlich wieder auf Carters Mist gewachsen
ist. Gerade bei der Bestrafung von Expeditionsmitgliedern
sollte es keine lange Diskussion geben. Derjenige muss
arretiert werden und fertig. Ich bin dennoch gespannt, was
diese »gruppendynamische Runde« ergeben wird.
gez: Cmdr. der BRADBURY, Han Suo Kang
gegengez. und bestätigt: Major Jenna Braxton
* * *
In der Offiziersmesse herrschte nach Estela Gonzales
Vorschlag eine Weile absolutes Schweigen. Ein Schweigen,
das umso seltsamer wirkte, wenn man nur fünf Minuten
zurückdachte jeder war dem anderen ins Wort gefallen.
Bis Estela mit ihrem Vorschlag herausgeplatzt war. John
Carter hielt die Luft an und überlegte, ob sie diese Idee ernst
gemeint haben konnte. Ihrem entschlossenen Gesicht nach zu
urteilen, ja. Er sah in die Runde. Was würden die anderen dazu
sagen?
Marianne Angelis war die Erste, die sich wieder rührte.
»Wie könnt ihr das nur vorschlagen? Ihr habt sie doch nicht
mehr alle. Das ist viel zu grausam!«
»O doch. Sie hat gestohlen, Doktor Angelis! Das ist
unverzeihlich.« In Kangs Gesicht verzog sich kein Muskel, als
er das sagte. John wusste, dass er bereits seit Monaten lange
Berichte an das Missionskommando verfasste. Er fragte sich,
was er wohl zu dem Diebstahl geschrieben hatte oder noch
über die Bestrafung schreiben würde.
»Ich stimme Ihnen zu, Sir«, sagte Braxton. »Wir können
Doktor Tsuyoshi nicht verhaften oder ins Gefängnis stecken.
Wir brauchen ihre Arbeitskraft. Aber es muss allen hier klar
sein, dass Verbrechen trotzdem bestraft werden.«
Es war beinahe witzig, wie sie sich immer auf Kangs Seite
stellte. Die beiden erinnerten Carter an das Offizierspaar aus
M*A*S*H, Hotlips und... der Name des Arztes fiel ihm nicht
mehr ein.
Ich bin unkonzentriert, dachte er und zwang seine
Gedanken, zu der Diskussion zurückzukehren.
»Wer ist noch dafür?« Estela hob die Hand und sah
demonstrativ zu Pramjib, der neben ihr saß. Er erwiderte den
Blick nicht, hob aber dennoch langsam die Hand.
»Ich bin dagegen.« Angelis schüttelte den Kopf. »Das ist
eine unmenschliche und drakonische Strafe. Was hat sie denn
gemacht? Ein paar Müsliriegel gestohlen? Na und, wir haben
alle schon mal Hunger gehabt.«
»Aber keiner von uns hat gestohlen«, konterte Saintdemar.
John hob die Augenbrauen. Er mochte Akina, vielleicht
sogar mehr als gut für ihn war, aber Estelas und auch
Madelaines Argumente waren nicht von der Hand zu weisen.
Sie hatte gestohlen und damit die Gemeinschaft gefährdet.
Man musste der gesamten Gruppe deutlich machen, dass das
nicht toleriert wurde.
Aber war die Bestrafung angemessen oder zu grausam? Es
war eine Frage, die nur die Praxis beantworten konnte.
Langsam hob Carter die Hand. »Ich bin dafür.«
»Du auch?« Angelis anklagender Blick traf ihn härter, als
er gedacht hätte. Er setzte zu einer Rechtfertigung an, aber
Estela war schneller.
»Sechs sind dafür, eine dagegen«, sagte sie. »Damit hat die
Mehrheit entschieden. Wir werden vier Wochen lang mit
Akina Tsuyoshi weder reden, noch ihre Anwesenheit zur
Kenntnis nehmen. Wir werden ihr auch nicht mitteilen, wie
lange diese Strafe dauern wird. Wenn uns das schwer fällt,
umso besser. Dann wissen wenigstens alle, welche Last man
der Gemeinschaft aufbürdet, wenn man sie bestiehlt.« Sie warf
einen Blick in die Runde. »Wir müssen uns alle daran halten,
okay?«
Kang drehte sich um und sah Carter an. Er sprach zwar nur
wenig über persönliche Angelegenheiten, aber er schien genau
zu wissen, wen jeder mochte oder nicht.
»Werden Sie sich auch daran halten, Mister Carter?«, fragte
er. »Es kann nur funktionieren, wenn alle es tun, das muss ich
noch einmal betonen. Sie wissen genauso gut wie wir alle, dass
wir nicht zulassen können, dass so etwas an unsere Substanz
geht. Lebensmitteldiebstähle sind in unserer Lage nicht
tolerierbar es ist ein Verbrechen, das uns alle das Leben
kosten könnte.« Er zögerte einen Moment. Auf seinem Gesicht
erschien ein Zug, den man dort selten zu sehen bekam:
Menschlichkeit. »Ich werde es genauso sehr hassen wie Sie,
aber es muss einfach sein.«
Carter nickte. »Ich werde mich daran halten.«
»Okay.« Estela ergriff wieder das Wort. »Marianne, wie
steht es mit dir?«
»Ja«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Ich denke, wenn
alle anderen dafür sind, werde ich mich nicht als Einzige
dagegen sperren. Schließlich gehört auch das zur Demokratie.«
Sie lächelte schief.
John stand auf und ging zur Tür. »Ich werde Akina holen.«
»Ich begleite Sie.« Braxton schloss sich ihm an. John fragte
sich, ob sie ihn kontrollieren oder unterstützen wollte.
»Es wird schwer werden«, sagte sie, als sie die
Krankenstation erreicht hatten. »Ein Monat ist eine scheiß
lange Zeit.«
»Ich weiß«, sagte er und entriegelte die Tür.
Akina sprang von dem Untersuchungstisch hoch, auf dem
sie gesessen hatte. »Was ist los? Was werdet ihr mit mir
machen? Es tut mir so Leid. Ich hatte Hunger, und da lagen
diese Riegel im Container. Ich weiß nicht, was in mich
gefahren ist. Ich verspreche euch, dass es nie wieder
vorkommt.«
John sah sie nicht an. Er drehte ihr den Rücken zu und
verließ wortlos die Krankenstation. Braxton folgte ihm mit
steinernem Gesichtsausdruck.
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