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Fuessen stehen koennen?"
Nur eine schwache Hoffnung, dass er seiner Amazone entgegengehe, konnte
manchmal durch die trueben Vorstellungen durchblicken. Es war Nacht geworden, der
Wagen rasselte in einen Hof hinein und hielt still; ein Bedienter mit einer Wachsfackel
trat aus einem praechtigen Portal hervor und kam die breiten Stufen hinunter bis an den
Wagen. "Sie werden schon lange erwartet", sagte er, indem er das Leder aufschlug.
Wilhelm, nachdem er ausgestiegen war, nahm den schlafenden Felix auf den Arm, und
der erste Bediente rief zu einem zweiten, der mit einem Lichte in der Tuere stand:
"Fuehre den Herrn gleich zur Baronesse."
Blitzschnell fuhr Wilhelmen durch die Seele: "Welch ein Glueck! Es sei vorsaetzlich oder
zufaellig, die Baronesse ist hier! Ich soll sie zuerst sehen! Wahrscheinlich schlaeft die
Graefin schon! Ihr guten Geister, helft, dass der Augenblick der groessten Verlegenheit
leidlich voruebergehe!"
Er trat in das Haus und fand sich an dem ernsthaftesten, seinem Gefuehle nach dem
heiligsten Orte, den er je betreten hatte. Eine herabhaengende blendende Laterne
erleuchtete eine breite, sanfte Treppe, die ihm entgegenstand und sich oben beim
Umwenden in zwei Teile teilte. Marmorne Statuen und Buesten standen auf Piedestalen
und in Nischen geordnet; einige schienen ihm bekannt. Jugendeindruecke verloeschen
nicht, auch in ihren kleinsten Teilen. Er erkannte eine Muse, die seinem Grossvater
gehoert hatte, zwar nicht an ihrer Gestalt und an ihrem Wert, doch an einem
restaurierten Arme und an den neueingesetzten Stuecken des Gewandes. Es war, als
wenn er ein Maerchen erlebte. Das Kind ward ihm schwer; er zauderte auf den Stufen
und kniete nieder, als ob er es bequemer fassen wollte. Eigentlich aber bedurfte er
einer augenblicklichen Erholung. Er konnte kaum sich wieder aufheben. Der
vorleuchtende Bediente wollte ihm das Kind abnehmen, er konnte es nicht von sich
lassen. Darauf trat er in den Vorsaal, und zu seinem noch groessern Erstaunen
erblickte er das wohlbekannte Bild vom kranken Koenigssohn an der Wand. Er hatte
kaum Zeit, einen Blick darauf zu werfen, der Bediente noetigte ihn durch ein paar
Zimmer in ein Kabinett. Dort, hinter einem Lichtschirme, der sie beschattete, sass ein
Frauenzimmer und las. "O dass sie es waere!" sagte er zu sich selbst in diesem
entscheidenden Augenblick. Er setzte das Kind nieder, das aufzuwachen schien, und
dachte sich der Dame zu naehern, aber das Kind sank schlaftrunken zusammen, das
Frauenzimmer stand auf und kam ihm entgegen. Die Amazone war's! Er konnte sich
nicht halten, stuerzte auf seine Knie und rief aus: "Sie ist's!" Er fasste ihre Hand und
kuesste sie mit unendlichem Entzuecken. Das Kind lag zwischen ihnen beiden auf dem
Teppich und schlief sanft.
Felix ward auf das Kanapee gebracht, Natalie setzte sich zu ihm, sie hiess Wilhelmen
auf den Sessel sitzen, der zunaechst dabeistand. Sie bot ihm einige Erfrischungen an,
die er ausschlug, indem er nur beschaeftigt war, sich zu versichern, dass sie es sei, und
ihre durch den Lichtschirm beschatteten Zuege genau wiederzusehen und sicher
wiederzuerkennen. Sie erzaehlte ihm von Mignons Krankheit im allgemeinen, dass das
Kind von wenigen tiefen Empfindungen nach und nach aufgezehrt werde, dass es bei
seiner grossen Reizbarkeit, die es verberge, von einem Krampf an seinem armen
Herzen oft heftig und gefaehrlich leide, dass dieses erste Organ des Lebens bei
unvermuteten Gemuetsbewegungen manchmal ploetzlich stillestehe und keine Spur der
heilsamen Lebensregung in dem Busen des guten Kindes gefuehlt werden koenne. Sei
dieser aengstliche Krampf vorbei, so aeussere sich die Kraft der Natur wieder in
gewaltsamen Pulsen und aengstige das Kind nunmehr durch uebermass, wie es vorher
durch Mangel gelitten habe.
Wilhelm erinnerte sich einer solchen krampfhaften Szene, und Natalie bezog sich auf
den Arzt, der weiter mit ihm ueber die Sache sprechen und die Ursache, warum man
den Freund und Wohltaeter des Kindes gegenwaertig herbeigerufen, umstaendlicher
vorlegen wuerde. "Eine sonderbare Veraenderung", fuhr Natalie fort, "werden Sie an ihr
finden; sie geht nunmehr in Frauenkleidern, vor denen sie sonst einen so grossen
Abscheu zu haben schien."
"Wie haben Sie das erreicht?" fragte Wilhelm.
"Wenn es wuenschenswert war, so sind wir es nur dem Zufall schuldig. Hoeren Sie, wie
es zugegangen ist. Sie wissen vielleicht, dass ich immer eine Anzahl junger Maedchen
um mich habe, deren Gesinnungen ich, indem sie neben mir aufwachsen, zum Guten
und Rechten zu bilden wuensche. Aus meinem Munde hoeren sie nichts, als was ich
selber fuer wahr halte, doch kann ich und will ich nicht hindern, dass sie nicht auch von
andern manches vernehmen, was als Irrtum, als Vorurteil in der Welt gaeng und gaebe
ist. Fragen sie mich darueber, so suche ich, soviel nur moeglich ist, jene fremden,
ungehoerigen Begriffe irgendwo an einen richtigen anzuknuepfen, um sie dadurch, wo
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